Integrationsmotor Sport auf dem Prüfstand
  22.09.2021 •     Verband


Filmabend mit Podiumsdiskussion in Heidelberg – Integrationspotenziale des Sports stehen im Mittelpunkt

Im Frühjahr ging es endlich wieder zurück auf den Sportplatz. Nach eineinhalb von Hallenschließungen und Sportanlagensperrungen geprägten Jahren konnten die meisten Sportvereine mittlerweile zu ihrem Kerngeschäft zurückkehren. Doch insbesondere während des Lockdowns haben viele Vereine ihren unschätzbaren Wert für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das soziale Miteinander gezeigt. Mit viel Einsatz und großer Kreativität wurden für die eigenen Mitglieder und genauso für alle Menschen im Vereinsumfeld coronakonforme Angebote entwickelt. Durch Online-Trainings, Videotutorials oder Bewegungsparkours, wie den „Corona-Warrior-Pfaden“ des TV Sennfeld, wurde das Sporttreiben ermöglicht und Kontaktmöglichkeiten geschaffen.

Besonders diejenigen Gruppen, die bereits vor der Pandemie am Rande der Gesellschaft standen – sozial Benachteiligte sowie Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund - wurden durch Corona immens belastet und durch die erforderlichen Maßnahmen ihrer oftmals wenigen sozialen Netzwerke in der Schule oder im Sportverein beraubt. Gerade für diese Menschen waren der Einsatz und die Angebote der Sportvereine unabdingbar, um der sozialen Isolation zu entfliehen.

Sportvereine als soziale Akteure in der Pandemie

Der Sportverein ist für viele Menschen der erste Anlaufpunkt in einer neuen Umgebung. Die Übungsleiter*innen und Sportler*innen sind die ersten sozialen Kontakte und in vielen Fällen auch in Krisenzeiten vertrauensvolle Ansprechpartner*innen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass vielerorts Sportvereine und ihre Mitglieder über ihr eigentliches Kerngeschäft hinaus aktiv und quasi sozialarbeiterisch und seelsorgerisch tätig wurden oder tätig werden mussten. Ob Unterstützung rund um das Homeschooling, Hilfe nach dem Jobverlust oder emotionaler Beistand - wie bereits im Zuge der Flüchtlingsbewegung in den Jahren 2015/2016 haben sich im organisierten Sport während der Coronapandemie Netzwerke und Hilfsstrukturen entwickelt.

Im organisierten Sport werden mehr Menschen erreicht als in allen anderen Gesellschaftsbereichen und er wirkt als größte zivile Bürgerbewegung bis in lokale Räume hinein. Der Sportverein gilt als Stätte des kulturellen Austauschs, der Selbstverwirklichung und -behauptung, als Hort der Demokratie und des demokratischen Lernens, der in seiner Ausübung Fairness, Regelakzeptanz und die Achtung des Gegenübers als sportliche*n Partner*in vermittelt und im Mannschaftssport auch Teamgeist und Zugehörigkeitsgefühl erzeugt. Daher wird der Sportverein als idealer Ort der Integrationsarbeit betrachtet

Im Sportverein angekommen – in der Gesellschaft integriert?

Doch auch hier funktioniert Integration nicht von alleine. Die eben genannten Aspekte sind auch im Sport nicht selbstverständlich. Sportverbände und -vereine haben erkannt, dass gezielt und bewusst Voraussetzungen geschaffen werden müssen, die ein vielfältiges Miteinander ohne Anpassungsdruck ermöglichen. Durch Interaktion und Identifikation, aktive Teilnahme und gleichberechtigte Teilhabe auf allen Ebenen werden die Integrationspotenziale nachhaltig nutzbar gemacht. Integration wird als wechselseitiger Prozess wahrgenommen, zu der alle Beteiligten ihren Beitrag leisten müssen und der gezielter Koordinierung und Förderung bedarf.

Kontrovers diskutiert werden in diesem Zusammenhang besonders die Effekte der integrativen Prozesse im Sport für die gesellschaftliche Integration. Einerseits wird dem organisierten Sport eine besondere integrative Kraft zugeschrieben: mit allseits bekannten Regeln, einfacher Symbolik und leichter, verständlicher Sprache gelingen unter günstigen Umständen Integrationserfolge oft spontan und ohne viel Aufwand. Andererseits warnen viele Stimmen vor einer Überbewertung einer universellen integrativen Kraft des Sports und der scheinbar garantierten Transferwirkungen auf die gesellschaftliche Integration. Insbesondere wird sowohl auf fehlende Gestaltungsformen als auch auf verbalen Provokationen, stereotyper Vorurteile und Rassismusvorfälle im Sportalltag hingewiesen. 

Welche Rolle kann – oder muss – der Sport hinsichtlich der gesellschaftlichen Integration übernehmen? Ist die Erwartungshaltung an den „Integrationsmotor Sport“ berechtigt? Welchen Einfluss auf die Prozesse sozialer Integration können Sportvereine und die aus der Teilnahme und Teilhabe am Vereinsleben entstehenden Netzwerke bewirken?

Filmabend mit Podiumsdiskussion in Heidelberg

Die Rolle des sozialen Umfelds für die soziale Integration und was das Engagement in einem Sportverein als zivilgesellschaftlicher Einrichtung für Effekte auf diese haben kann, sind die zentralen Themen bei der Filmvorführung

„Keine Angst vorm schwarzen Mann – Rassismus, Sport und Integration“ am 30.09.2021 um 18:00 Uhr in Heidelberg zu der das Bundesprogramm Integration durch Sport im Badischen Sportbund Nord einlädt.

Die Dokumentation begleitet Assan Jallow, einen jungen Geflüchteten aus Gambia, der sich beim IdS-Stützpunktverein ATSV Kleinsteinbach nahe Karlsruhe engagiert und dort nicht nur eine sportliche Heimat gefunden hat. Als leidenschaftlicher Amateurfußballer und Jugendtrainer findet er schnell Anschluss in der Gemeinschaft des Sportvereins.

Allerdings ist sein Aufenthalt bedroht, weil er verpflichtet ist, eine 3-jährige Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Schafft er das nicht, droht ihm die Ausweisung. Zusätzlich machen es ihm Herausforderungen wie Alltagsrassismus und Diskriminierung schwer, in Deutschland Fuß zu fassen.

Anschließend werden sowohl Potenziale und Chancen als auch Grenzen und Hürden des Sports im Hinblick auf die soziale Integration thematisiert.

Dazu diskutieren auf dem Podium:

  • Yasemin Soylu, Vorstandsmitglied von Mosaik Deutschland e.V., aktiv in der politischen Bildungsarbeit, Extremismusprävention und Demokratieförderung. 
  • Sven Wolf, Vizepräsident des Badischen Fußballverbands für Gesellschaftliche Verantwortung
  • Uwe Hollmichel, Vorsitzender der SG Heidelberg-Kirchheim, einem der größten Sportvereine Heidelbergs, der sich vielfältig gegen Rassismus und Diskriminierung engagiert,
  • Eberhard „Ebse“ Carl, ehemaliger Bundesliga-Profi des Karlsruher SC, der heute als Integrationsmanager im Landkreis Calw verschiedene Sport- und Fußballangebote für junge Geflüchtete umsetzt und diese auch in Sportvereine vermittelt.

In den Abend einführen wird Florence Brokowski-Shekete, Schulamtsdirektorin in Mannheim, Beraterin und Autorin des Bestsellers „Mist, die versteht mich ja! Aus dem Leben einer schwarzen Deutschen“.

Wie zeigt sich Alltagsrassismus? Was verbindet Diskriminierung und Rassismus? „Darf man denn heute gar nichts mehr sagen?“ Diese Fragen werden in ihrem Impulsvortrag ebenso thematisiert wie die Rolle von Bildung, Kultur und Sport in diesem Themenfeld. Zudem steht Florence Brokowski-Shekete für Fragen aus dem Publikum zur Verfügung.

Im Rahmen der Veranstaltung wird die Plakataktion „Unity in Diversity“ der SG Heidelberg-Kirchheim und „Anpiff ins Leben“ ausgestellt.Den musikalischen Rahmen gestaltet Lucas Barcena mit seinem Geflüchteten-Projekt „Nordakas“.