BHV Special 03/20 - Wir fragen Schiedsrichter
  02.03.2020 •     BHV Special , Schiedsrichter , Bildung


Ein ausführliches Interview mit dem BHV-Schiedsrichtergespann Nico und Leon Bärmann

Wie man zum Handball kommt, gibt es verschiedenste Möglichkeiten. Auch auf welcher Position man spielt, hat unterschiedlichste Hintergründe. Aber wie seid ihr dazu gekommen Schiedsrichter zu werden?

Nico: Das hat vor allem zwei Gründe. Zum einen war bereits unser damaliger Trainer als Schiedsrichter aktiv und hat von Beginn an für diese Tätigkeit geworben. Zum anderen war ich als Jugendspieler oft unzufrieden mit der Leistung der Unparteiischen und sagte schnell: Das kann ich besser!

Leon: Da Nico bereits zwei Jahre gepfiffen und immer positiv davon berichtet hat, war schnell klar, dass es für mich auch in diese Richtung gehen wird.

 

Alle Spieler haben Vorbilder auf ihrer Position. Haben Schiedsrichter auch Vorbilder? Wenn ja, welche sind eure?

Leon: Natürlich haben auch wir als Schiedsrichter viele Vorbilder, von denen wir uns einige Sachen abschauen und sie bei Spielen im TV oder in der Halle genau beobachten. Von ihnen können wir viele Dinge lernen.

Nico: Besonders gut finden wir die beiden IHF-Referees Robert Schulze und Tobias Tönnies. Von ihnen kann man eine Menge lernen. Es macht unheimlich viel Spaß ihnen zuzusehen.

 

Viele sehen die negativen Seiten wie Kritik, die einem als Schiedsrichter entgegengebracht wird. Die positive Seite sieht kaum jemand. Was ist das Tolle am Schiedsrichter sein?

Nico: Es macht einfach Spaß in Bruchteilen von Sekunden Entscheidungen zu treffen! Dadurch entwickelt man sich auch als Mensch weiter, man wird stressresistenter und macht Fortschritte in den Bereichen Persönlichkeit, Selbstbewusstsein und Auftreten gegenüber anderen Menschen.

Leon: Man trifft in jedem Spiel auf die unterschiedlichsten Spielertypen und lernt wirklich großartige Menschen kennen. Mit vielen Schiedsrichterkollegen sind wir privat sehr gut befreundet und halten dabei genauso wie eine Handballmannschaft zusammen.

 

Ihr lauft als Schiedsrichter mindestens genau so viel, wie die Spieler auf dem Feld. Wie haltet ihr euch fit?

Leon: Wir versuchen mindestens 3-mal pro Woche Sport zu treiben, gehen joggen und ins Fitnessstudio. Mangelnde Fitness wäre gegenüber den Spielern ja nicht fair.

 

Rote Karten, 2 Minuten,..  Gibt es Dinge die euch als Schiedsrichter besonders schwer fallen?

Leon: Schwer fallen würde ich nicht sagen. Natürlich gibt es Situationen, die einem noch eine Weile im Gedächtnis bleiben. Dazu zählen Fehlentscheidungen, die einem erst im Nachhinein klar werden. Aus denen lernt man dann und versucht es in Zukunft besser zu machen.

Nico: Aktuell sind wir in unserem ersten Jahr in der BWOL und Jugendbundesliga. Gerade in der Männer Oberliga versuchen viele Trainer und Spieler uns noch ein bisschen zu testen, ob wir mit unserem jungen Alter uns auch durchsetzen können. Durch unser Selbstbewusstsein können wir aber gut mit diesen Situationen umgehen und die notwendige Akzeptanz schaffen.

 

Die meisten Spieler haben Lieblingshallen oder sogar Lieblingsgegner. Gibt es für euch Hallen oder Vereine, in denen ihr lieber pfeift als in anderen?

Leon: Definitiv nein. Wir freuen uns auf jedes Spiel, egal in welcher Halle und mit welchen Mannschaften. Natürlich ist es aber auch für uns spannender in einer vollen engen Halle zu pfeifen, als in einer großen mit wenigen Zuschauern.

 

Viele aktive Handballer sind Fans einer Bundesligamannschaft. Trifft das auch auf Schiedsrichter zu und wenn ja, kann man als „Privatperson“ Fan von einer Mannschaft sein und trotzdem neutral pfeifen?

Nico: Ehrlich gesagt, sind wir keine Fans einer bestimmten Mannschaft. Das heißt aber nicht, dass wir zu keinem Bundesligaspiel gehen. Im Gegenteil: Wir treffen uns oft mit anderen Gespannen aus Baden-Württemberg und besuchen die Spiele als neutrale Zuschauer. Aus diesem Grund haben wir nie Probleme mit unserer Objektivität auf dem Spielfeld.

Leon: Das ist ja das wichtigste an der gesamten Schiedsrichterei. Auch wenn man auf dem Spielfeld den ein oder anderen Spieler vielleicht sogar privat kennt, darf es dabei niemals zu einer Bevorzugung kommen.

 

Als Schiedsrichter wird einem nicht immer Sympathie auf dem Feld entgegen gebracht. Vor allem Sprüche wie „Schiri wir wissen wo dein Auto steht“ fallen häufiger. Wie geht ihr mit solchen Sprüchen oder Beschimpfungen um?

Leon: Man versucht mit Anpfiff alles außen rum auszublenden und zu ignorieren, allerdings klappt das natürlich nicht immer. Persönlich stören mich solche Sprüche jedenfalls überhaupt nicht. Da muss man einfach weghören und sein Ding weiter durchziehen.

Nico: Solche Bemerkungen kommen leider oft vor. Erst vor wenigen Monaten wurden wir bei einem Spiel massiv von den Zuschauern beleidigt und beschimpft. Doch aus solchen Situation lernt man einiges. Du musst einen Tunnelblick entwickeln und dich vollkommen auf das Spiel fokussieren.

 

Man liest immer wieder, dass die Schiedsrichterzahlen drastisch sinken. Warum wird es eurer Meinung nach immer schwerer Nachwuchs zu finden?

Nico: Das liegt zum einen genau an den angesprochenen Beleidigungen durch einige Zuschauer, die vor allem den jungen Schiedsrichtern immer wieder die Lust nehmen, weiter zu pfeifen. Auf der anderen Seite nimmt die Schiedsrichterei aber auch enorm viel Zeit in Anspruch, was gerade für selbstspielende Akteure ein Hindernis darstellt.

 

Warum würdet ihr den jüngeren raten Schiedsrichter zu werden?

Nico: Es macht einfach unheimlich viel Spaß auf der Platte zu stehen und ein Spiel zu leiten. Die Verantwortung, die man trägt, ist immens und bringt dich auch außerhalb vom Handball im Leben um Einiges weiter. Daneben ist aber auch die finanzielle Entschädigung insbesondere für Schüler ein netter Ansporn.

Leon: Auch die Aufstiegsmöglichkeiten sind in der Schiedsrichterei sehr gut. So kann man sehr schnell höher pfeifen, als man selbst gespielt hat. Daneben gibt es kostenlosen Eintritt zu Spielen bis zur dritten Liga.

 

Durch welche Maßnahmen könnte man den Schiedsrichter-Job für Jugendliche dennoch attraktiver machen?

Nico: Man könnte beispielsweise Jugendturniere veranstalten, bei denen die Spieler selbst als Schiedsrichter agieren und so mit diesem Amt schon früh in Kontakt kommen. Des Weiteren würden auch nicht so viele junge Referees wieder aufhören, wenn sie im ersten Jahr an der Pfeife einen erfahrenen Schiedsrichter zur Seite gestellt bekommen würden, der sie zu jedem Spiel begleitet und unterstützt.

Leon: Ich war bei meinem zweiten Spiel schon komplett alleine, es kam kein Schiedsrichterbetreuer. Das kann nicht sein! Es wäre bestimmt auch effektiv, wenn in regelmäßigen Abständen bei den Vereinen erfahrene Schiedsrichter Vorträge halten und so Werbung für den Job an der Pfeife machen würden.

 

Seit Jahren hat der Badische Handball-Verband rückläufige Schiedsrichterzahlen zu beklagen. Wie wirkt sich der Schiedsrichtermangel auf euch aus?

Nico: Wir sind ja sozusagen in den Schiedsrichtermangel reingeboren. Deshalb spüren wir keine Auswirkungen, wir sind froh, wenn wir viel pfeifen können, denn nur durch Praxiserfahrung wird man besser. Allerdings möchte ich nicht in die Rolle des Einteilers schlüpfen, gerade in den unteren Ligen an der Basis fehlen die Schiedsrichter.

Leon: Allerdings muss man auch sagen, dass bereits viele Vereine bei uns anfragten, ob wir für sie als Schiedsrichter pfeifen wollen, damit ihr Schiedsrichter-Soll erfüllt ist.

 

Überbelastung ist in den letzten Jahren vor allem bei den Spielern ein immer größeres Thema geworden. Hat sich eure Belastung im Laufe der Jahre auch geändert?

Nico: Definitiv. Durch unseren letztjährigen Doppelaufstieg sind wir nun in ganz Süddeutschland im Einsatz, während wir in der Saison 18/19 nur in Baden unterwegs waren. Gerade die langen Autofahrten nehmen viel Zeit in Anspruch. Zudem bereiten wir uns auch professioneller auf Spiele vor (Videostudium), was unter der Woche zusätzlich noch ein paar Stunden bedeuten.

 

Was sind eure Schiedsrichterziele in den kommenden Jahren? Die deutschen Farben bei internationalen Turnieren vertreten. Was haltet ihr davon?

Nico: Langfristig gesehen, wäre das natürlich ein großer Traum. Kurzfristig ist das Ziel uns Spiel für Spiel weiterzuentwickeln und im DHB-Bereich weiter aufzusteigen.

Leon: Wir wollen unsere Leistung in jedem Spiel steigern und immer besser werden. Natürlich ist es unser Traum irgendwann in der ersten Bundesliga zu pfeifen, aber bis dahin ist es noch ein langer Weg.

 

Zum Abschluss noch was Positives. Was war bis heute eure beste Erfahrung als Schiedsrichter?

Nico: Im November 2019 durften wir das von Patrick Groetzki initiierte Benefizspiel zwischen der SG Nußloch und einer Auswahl verschiedener ehemaliger Nationalspieler und Weltmeister zu leiten. Zwei Monate später haben wir ein weiteres Benefizspiel zwischen der SG BBM Bietigheim und dem TVB Stuttgart gepfiffen. Das waren natürlich zwei Spiele, die noch lange bei uns in Erinnerung bleiben werden und eine Menge Erfahrung brachten.

Leon: Tolle Erfahrungen machen wir auch jedes Jahr bei den Lundaspelen in Schweden. Es macht riesigen Spaß auch mal internationale Spiele zu leiten und sich mit Referees aus anderen Ländern auszutauschen.